Die Lust zur modischen Unlust: Normcore

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„Normcore“, das ist zugegeben auf den ersten Blick ein etwas merkwürdig klingender Begriff, der seit einiger Zeit durchs Netz und ganz offensichtlich auch durch so einige Kleiderschränke geistert. Doch was hat es damit eigentlich auf sich, woher kommt das Phänomen und was will es eigentlich? Geht es nach der Agentur khole, die den Begriff in ihrer Studie mit dem Titel „YOUTH MODE“ prägte, stellt Normcore eine Gegenbewegung zum Hype um Trends und Einzigartigkeit dar. So heißt es:

„Normcore moves away from a coolness that relies on difference to a post-authenticity coolness that opts in to sameness. … It’s about adaptability, not exclusivity. … In Normcore, one does not pretend to be above the indignity of belonging. … But instead of appropriating an aestheticized version of the mainstream, it just cops to the situation at hand. To be truly Normcore, you need to understand that there’s no such thing as normal.“

Aha, Normcore bedeutet also die Abkehr vom Besonderen hin zum Normalen, wobei das Normale sich als ein nicht zu definierendes äußert. Oder einfacher ausgedrückt: Wieso einzigartig sein, wenn man so sein kann wie alle. Anpassung statt Abgrenzung also.

Soweit schön und gut. Doch was fangen wir nun mit dem Ganzen an? Aktuell scheint sich in der Modewelt sowie in diversen Szenekreisen jedenfalls eine große Lust zur modischen Unlust abzuzeichnen. Und so ist Normcore mittlerweile zum Inbegriff eines neuen Trends geworden, nach dessen Vorbild wir uns nun alle munter in den Schlabber-Wohlfühl-Look vorzugsweise bestehend aus Jeans, T-Shirt/Pullover und Sneakers werfen. Ist bequem, wirkt lässig und erspart so manchem Modemädchen morgens wertvolle Zeit vor dem Kleiderschrank. Doch liegt genau hier gleichzeitig auch des Pudels Kern begraben. Denn die Krux an der Sache ist doch die, das Normcore sich ja eigentlich genau als Gegenbewegung zu Trendgehabe und Hype-Fanatismus versteht. Wenn der Hang zum Normalen, nun aber von der Mode aufgegriffen und in Form von Outfits adaptiert wird, frisst sich das Phänomen am Ende doch eigentlich irgendwie selbst. Ein Paradoxon, keine Frage, und ein Dilemma für den Trend, der doch eigentlich so gar keiner sein will. Außerdem sollte man an dieser Stelle auch noch einmal hinterfragen, was es eigentlich bedeutet, wenn eine TREND(!)agentur, ein solches Wort kreiert. Und was ist eigentlich mit denen, die schon seit Ewigkeiten auf Mode-Chichi und Co. pfeifen? Sind die auf einmal die neuen Trendsetter? Fragen über Fragen… doch gibt es überhaupt Antworten?

Fest steht, dass die aktuelle Normcore-Welle den Zahn der Zeit trifft, geht sie doch Hand in Hand mit dem großem 90er-Hype, der uns bereits seit einer Weile begleitet. Den Grunge hat es schließlich auch nicht interessiert, ob die Haare frisch gewaschen und adrett gelegt sind oder ob T-Shirt, Jeans und Flanellhemd in irgendeiner Weise stylish wirken. Brauchte es auch nicht, das Ganze war nämlich vielmehr, eine Revolte, wobei manchmal mehr eine Resignation gegen das Establishment, gegen eine Welt, die mit all ihren Regeln und Normen so trist und traurig schien. Doch heißt das, Normcore maße sich an die Welt zu verändern? Ganz sicher nicht. Denn wie es nun einmal mit den Trends ist, sie sind schneller wieder vorbei, als wir glauben mögen. Und schließlich sollten all wir Modemenschen da draußen jetzt nicht dem Irrglauben verfallen, dass es diese Perspektive auf die Welt nicht schon längst gegeben hätte, ehe sie in unser Blickfeld gehuscht ist. Ganz im Gegenteil, außerhalb unserer schönen bunten Fashionblase, greifen nämlich sehr viele Menschen morgens zu Jeans und Shirt anstatt Rock mit Strumpfhose, mit Bluse, mit Pullover, mit Mantel und Booties zu kombinieren, dazu noch etwas Schmuck, und die angesagte Tasche mit all den Gadget die man eben den Tag über so braucht. 

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Der Hype um das Normale, das Unprätentiöse ist und bleibt am Ende eben wohl doch nur ein Hype. Bis dahin sollten wir uns einfach entspannt zurücklegen und zur Abwechslung einfach mal genießen. Genießen, dass es noch nie so einfach war, die richtige Garderobe zu finden, dass wir auf einmal Kleider am Leib tragen, in denen man sich tatsächlich völlig frei bewegen kann und auch nach mehreren Stunden noch pudelwohl fühlt, und achja, dass Turnschuhe wirklich Balsam für die Füße sind – vor allem an Tagen, an denen man besonders lange darauf steht. Am Ende können wir schließlich vor allem eines aus der Bewegung lernen: Manchmal schadet es nicht, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, sondern zwischen dem Extremen bis Fantasziösem, dem vermeintlich Einfachen eine Chance zu geben.

In diesem Sinne: Für die Lust zur modischen Unlust.

Dieser Artikel ist ursprünglich auf Supreme Mag erschienen.